Herkules Flieh – Teil 2

Teil 2

First of all, also zuerst einmal bin ich sechs Monate und damit alt genug, die Welt allein zu entdecken, auch wenn ich meine Eltern natürlich sehr liebhabe und sie auf dieser großen Reise vermisse. Ich habe Dir ja schon verraten, dass ich ein feuerspuckender Drache werden will, damit ich später im Zirkus auftreten kann und ganz berühmt werde. Zusammen mit meinen Eltern habe ich beschlossen, dass es am besten ist, viele Länder in Europa zu bereisen und jemanden zu finden, der mir helfen kann, ein richtig guter feuerspeiender Drache zu werden.
„Aha“, sagte ich „und in England gibt es niemanden, der Dir dabei helfen kann?“
„No, also nein, da bin ich überall rumgeflogen und habe gesucht, aber niemanden gefunden. Ich war auch beim Loch Ness, das ist ein See in Schottland, in dem angeblich ein Drache wohnt, aber ich habe ganz genau geschaut, Tag und Nacht, und habe niemanden und nichts gesehen, was nur annähernd wie ein Drache aussah. Und dann habe ich beschlossen, dass ich woanders weitersuchen muss. Dass ich jetzt in Deutschland bin, ist ehrlich gesagt keine Absicht. Ich bin einfach losgeflogen und obwohl ich mit meinem superguten Gehör keine Probleme habe, meinen Weg zwischen Bäumen, Häusern und Türmen zu finden, kann ich trotzdem keine Landkarte lesen und ein bestimmtes Ziel anfliegen. Deshalb ist es jetzt eher ein Zufall, dass ich hier bin und nicht z.B. in Schweden.“
„Schweden?“ fragte ich erstaunt. „Soll ziemlich kalt sein dort, habe ich mal von einem befreundeten Eichhörnchen gehört.
Wenig Nüsse, dafür viele Seen. Und von Drachen hat es auch nichts erzählt, geschweige denn von Zirkus, das würde mich ja schließlich auch interessieren!“
„Na, dann ist es doch ein sehr gutes Glück, dass ich hier gelandet bin, bei Dir! Du bist zwar kein Drache, aber immerhin arbeitest Du im Zirkus!“
„Ja das stimmt! Ich würde sagen, es hat noch niemandem geschadet, mich zu kennen! Und Deine Eltern?“, fragte ich jetzt nochmal, „was machen die so, also beruflich?“
„Mein Vater ist Statusquotiker und arbeitet in unserer Regierung“, sagte Batty. „Wie bitte? Statusquotiker? Was ist das denn für ein Beruf?“ fragte ich, schon wieder ziemlich erstaunt und verwirrt von diesen vielen neuen Sachen und Wörtern. „Ein Statusquotiker ist jemand, der dafür sorgt, dass alles so bleibt wie es ist“, versuchte sie mir diese für mich merkwürdige Tätigkeit zu erklären. „Das verstehe ich nicht“, sagte ich, „denn welche Sachen bleiben denn immer gleich? Wenn ich morgens aufstehe, ist die Sonne schon wieder aufgegangen und von Mond und Sternen ist nichts mehr zu sehen. Dann hüpfe ich auf meinem Weg in die Schule über die Wiese, und da wachsen, blühen und verblühen jeden Tag zahlreiche Pflanzen, es verändert sich doch ständig alles!“, warf ich ein. „Das stimmt schon“, sagte sie, „aber insgesamt betrachtet, bleibt doch alles immer gleich, weil die Sonne z.B. jeden Tag auf- und wieder untergeht, und die Blumen erst aufblühen und dann verwelken, verstehst Du?“ „Na ja, irgendwie nicht so ganz“, gab ich zu. „Und warum sagen Deine Eltern dann, dass Du alles werden kannst, was Du willst, wenn doch alles gleichbleiben soll?“ „Weil das Andere im Grunde auch nur ein Teil des Gleichen ist, denn wenn viele Menschen etwas Anderes machen, machen sie doch eigentlich alle das Gleiche, isn`t it?“, schloss sie ihrer Ausführungen mit einer Selbstverständlichkeit, die ich nicht teilen konnte, sorry Leute: Ich bin ein einfacher Floh, beileibe nicht dumm oder gar denkfaul, aber das war mir jetzt doch etwas sehr abstrakt. In der Hoffnung, nun etwas Einfacheres zu erfahren, und diesen schwierigen Gedanken dann später wieder aufgreifen zu können, fragte ich weiter: „Und Deine Mutter, was macht die so?“
Meine Mutter kümmert sich zusammen mit meinem Vater um uns Kinder. Halbnachts forscht sie über Fledermausrituale im Alpenraum und ist Landesvorsitzende der ,PffF‘, das ist die ,Partei für freiheitliche Fledermäuse‘.“
„A propos halbnachts. Auch wenn ich schlaftechnisch ziemlich flexibel bin, mache ich eigentlich tagsüber immer ein ziemlich ausgedehntes Päuschen, so von kurz nach halb neun bis ungefähr dreiviertel fünf im Winter und von zehn vor viertel nach sieben bis halb acht im Sommer. Und da es ja gerade erst kurz vor viertel nach 14 Uhr ist, könnten wir uns ja mal aufs Ohr hauen, oder?“, fragte ich Batty und musste dabei ein klein wenig gähnen.
„Wieso wollen wir uns denn auf die Ohren hauen?“, fragte Batty zurück.
„Na ich mein, wir könnten in die Federn kriechen!“, antworte ich in der Hoffnung, mein Anliegen nun deutlicher zum Ausdruck gebracht zu haben, aber Batty sagte:
„Ich habe bei Dir gar keine Federn gesehen und ich habe auch keine!“
„Ach [bætı], das sagt man bei uns so, wenn man auch als Floh hundemüde ist und die Augen kaum mehr offenhalten kann.“
„Ach so! Wir in England sagen, wir lassen uns aufs Heu fallen, auch wenn wir gar nicht mehr auf Heu schlafen. Das sind wohl ganz alte Redensarten, die in jedem Land ein bisschen anders sind. Aber Du hast Recht, ich muss dringend schlafen, denn ich bin jetzt schon eine ganze Weile unterwegs. Wir müssen uns dann aber unbedingt später weiter unterhalten, versprochen?“ „Na klar! Ich lege mich da drüben auf das Leberblümchen und wecke Dich später auf. Dann können wir uns was zu essen holen und uns den Sonnenuntergang anschauen, der ist hier nämlich ziemlich toll. Also schlaf schön und träum was Kleines!“
Dann hüpfte ich auf mein Leberblümchen, rutschte das Kronblatt hinunter und wurde weich von den Staubblättern abgefedert, drehte mich noch ein bis viermal um und schon war ich im tiefsten Floh schlaf an ge . komm……….en. (Nur falls ihr es nicht schon vergessen habt, dass ich vorhin gesagt habe, wir Flöhe würden niemals schlafen, würde ich jetzt korrigieren, dass wir manchmal, also quasi ganz selten, schon mal die Augen zumachen zur Erholung. Flunkern gehört eben zum Geschäft. Aber in Streichholzschachteln schlafen wir niemals!)

„Hatschi“
„Hatschiiiii“
„Hatschiiiiiiiiiii“. Das weckt ja den stärksten Zirkusfloh auf! Jetzt ist mir der ganze Blütenstaub in die Nase gekommen, nur weil diese Bienen niemals auf schlafende Flöhe Rücksicht nehmen können. Wieso eigentlich nicht? Ich spaziere doch auch nicht auf den Augenbrauen von schlafenden Tigern oder hinter den Ohren von Waldmäusen im Winterschlaf! Na gut, okay, manchmal mache ich das. Eigentlich sogar ziemlich häufig, also bei den Waldmäusen, denn Tiger gibt es ja bei uns gar nicht, aber ich muss schließlich auch etwas zu essen haben. Und immerhin bin ich da so diskret und leise, dass die Tiere gar nicht merken, dass ich ihnen ein bisschen Blut abgesaugt habe, ganz im Gegensatz zum Beispiel zu Mücken. Die stellen sich meiner bescheidenen Meinung nach nämlich ziemlich doof an mit ihrem sirrenden Summen, und das endet dann auch nicht selten tragisch. Vor ein paar Monaten hatte mich auch einmal eine Mücke angesprochen, ob wir nicht zusammen eine Zirkusnummer aufführen könnten, was sich ja eigentlich schon vom Namen her ausschließt, denn es heißt ja Flohzirkus und nicht Mückenzirkus, aber gut. Jedenfalls habe ich dann gesagt: „Hey Mücke“ (ihren Namen hatte ich leider schon wieder vergessen, denn das Namensgedächtnis von Flöhen ist wahrhaft nicht sehr gut entwickelt) „das geht leider nicht, denn mit deinem Gesirre raubst Du doch dem Zuschauer die ganze Illusion! Aber wenn Du willst, frage ich mal meinen Kumpel von der Geisterbahn, der kann bestimmt noch jemanden brauchen, der ganz fiese Geräusche machen kann.“ Nur ganz langsam wurde ich richtig wach, das hatte mich alles offensichtlich sehr erschöpft, und als ich die Sonne suchte und sie hinter den Bäumen wiederfand, war mir klar, jetzt muss ich mich beeilen, um Batty aufzuwecken, damit wir uns zusammen den Sonnenuntergang anschauen konnten, denn wer weiß, ob der in England genauso schön ist? Also bin ich über die kleine Wiese zu dem Kirschbaum gehüpft, an den sie sich zum Schlafen gehängt hatte und tatsächlich hing sie noch am gleichen Ast wie vorhin. Weil ich nicht unhöflich sein wollte, habe ich erstmal leise von unten nach oben gerufen: „[bæ tı]“ aber da ist nichts passiert.
Dann nochmal, schon ein bisschen lauter: „[bæ t ı]!“. Wieder nichts. Schließlich habe ich ein bisschen Anlauf genommen, bin auf den Baumstamm gehüpft und von dort aus weiter auf den Ast, an dem sie hing und habe wieder gerufen „[bæ t ı]“ und dann hat sich endlich was gerührt. Sie hat ihr rechtes Auge aufgemacht, dann aber gleich wieder zu. Dann hat sie das linke Auge geöffnet und schließlich das rechte noch dazu und hat sich mit ihren Flügelarmen die Augen gerieben und dann endlich zu mir herübergeschaut. Sie war ein bisschen schlaftrunken, wie man das meistens direkt nach dem Aufwachen ist, und wahrscheinlich noch viel mehr, wenn man gerade aus England angeflogen kommt und den Ast, an dem man hängt, vorhin zum ersten Mal gesehen und die Stimme, die nach einem ruft, erst vor kurzem zum ersten Mal gehört hat.
„Hallo Herkules“ hat sie dann mit einer Knusperstimme gesagt, „ist es schon Zeit aufzustehen?“ „Wenn wir uns den Sonnenuntergang ansehen wollen, dann ist es allerhöchste Eisenbahn“, antwortete ich. „Und es ist auch schon Zeit zum Spätstücken, zumindest schiebe ich schon gewaltigen Kohldampf, und Du?“ „Einen Kohldampf schiebst Du? Wo schiebst Du den denn hin? Brauchst Du Hilfe beim Schieben?“ fragte sie mit großem Erstaunen. „Nein [bætı], ich schiebe überhaupt nichts nirgendwohin, sondern „Kohldampf schieben“ sagt man, wenn man ziemlich großen Hunger hat.“ „Ach so. Und woher weiß man, dass das, was jemand sagt, gar nicht das ist, was er meint? Und wie findet man dann heraus, was es eigentlich bedeutet?“ „Ja, Du hast schon recht, das ist eine ziemlich komplizierte Sache, über die ich einmal etwas ausführlicher nachdenken und vielleicht auch ein Buch darüber lesen sollte. Im Beispiel mit dem Kohldampf kann ich Dir nur sagen, dass das eigentlich der Tricks dabei ist, dass eben nicht alle wissen, was das bedeutet, denn das Wort gehört zu einer Geheimsprache. Die wurde viele Jahrhunderte von Flöhen gesprochen, die keine feste Wohnung hatten, weil sie z.B. so wie ich als Zirkusfloh von Stadt zu Stadt gezogen sind und sie konnten sich aufgrund dieser Geheimsprache als Wanderflöhe erkennen, denn von außen gleicht ein Floh dem anderen doch sehr.

Und auch für Gauner war es sehr praktisch, so eine Geheimsprache zu haben, denn so konnte der eine zum anderen sagen „ich habe ausbaldowert, wo wir Mäuse finden“ und kein anderer wusste, dass sie damit meinten, dass sie ein Geldversteck ausfindig gemacht hatten. Verstehst Du das?“ „Ja, ich denke schon“, sagte Batty, wobei sie ganz langsam sprach, wahrscheinlich weil sie neben dem Sprechen noch andere Gedanken dachte. „Das ist eigentlich ziemlich praktisch, so eine Geheimsprache und ein ziemlich guter Tricks. Kannst Du mir noch mehr Wörter beibringen?“ „Hm, mal sehen. Wenn mir wieder was einfällt, sage ich Dir Bescheid, okay?“ „Gut“, antwortete Batty zufrieden.
„Aber was wollen wir denn jetzt spätstücken? Ich kenne hier in der Nähe einen Dachs, der hat immer ziemlich viel Ungeziefer in seinem dicken Fell, dort könntest Du was zu essen finden und ich sauge ein klein bisschen Blut.“ Batty sah mich mit einem Gesicht an, in dem sich Schlaftrunkenheit mit Unverständnis mischte und sagte: „Weißt Du, ich bin eigentlich Flexitarierin.“ Es vergingen einige Sekunden bevor ich fragen konnte: „Flexiwas?“ und in meiner Stimme konnte man deutlich mein Unverständnis hören. „Kannst Du etwa auch eine Geheimsprache und das heißt, dass Du nur Wackelpudding mit Pommes isst? Oder ist das eine Religion?“
„No, also nein, das ist keine Religion, aber mit Wackelpudding und Pommes liegst Du gar nicht so falsch, denn Flexitarierin zu sein bedeutet, dass ich die meiste Zeit nur Früchte und Gemüse esse, Getreide natürlich auch. Aber wenn mir dann mal eine Mücke direkt in den Mund fliegt, dann spucke ich die nicht gleich wieder aus. Ich bin also eigentlich Vegetarierin, aber dabei ein bisschen flexibel. Weißt Du, wie ich meine?“ fragte sie. „Na ja, das ist für mich schon schwer vorstellbar, denn wir Flöhe trinken seit Generationen Blut und nichts anderes. Das hat mir meine Mutter beigebracht, die es wiederum von ihrer Mutter gelernt hat und die wiederum, na, Du weißt schon. Irgendwann hatte ich mal gehört, dass es in Jamaika einen Floh geben soll, der nur Ananassaft trinkt, aber keiner wusste so genau, ob es ihm damit gut geht und seitdem habe ich auch nie wieder darüber nachgedacht. Flöhe trinken Blut, so ist das eben. Willst Du dann vielleicht weiter an Deinen Kirschen knabbern und ich gehe mal kurz zum Dachs? Bin gleich zurück!“
„Ja, aber beeil Dich, der Sonnenuntergang!“ „Wird gemacht“, versprach ich und bin dann den Baum wieder runter geklettert, Richtung Dachsbau gelaufen und habe mir dabei so meine Gedanken gemacht.


Na, und was esst ihr am liebsten?

Oder kennt ihr auch lustige Sprichwörter oder Wörter, die auch eine ganz andere Bedeutung haben können? Batty würde sich sicher über ein kleines Geheimsprachen-Wörterbuch freuen, damit sie auch alles richtig versteht!

Und schöne Sonnenuntergänge gibt es bei uns zur Zeit ja auch oft zu sehen. Malt ihr uns einen oder schickt uns ein Foto?

Wir freuen uns darauf, von Euch zu hören oder zu lesen…
und ihr findet die nächste Fortsetzung der Geschichte ab Anfang September hier

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